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[BLN] ohne [BER]

Kaputte Hauptstadt - Der Schimmel über Berlin. Bin nun bald NEUN jahre nicht me(e)r vor Ort ... der folgende SPON Artikel ist so schön geschrieben und es hat sich scheinbar nix gross geändert.
Die Flughafeneröffnung erneut verschoben, der BER eine gigantische Bauruine. Und was macht der Regierende Bürgermeister? Bleibt im Amt. Gut so! Denn wer Konsequenzen fordert, nur weil hier etwas nicht klappt, hat keine Ahnung von Berlin - dieser kaputten, großartigen Stadt.

Ein unglaublicher Skandal. Inkompetente Planer, Pfusch am Bau, lastwagenweise Geld verbrannt von einer Stadt, die schon vorher vollkommen pleite war: Das ist die Geschichte des sogenannten Hauptstadtflughafens "Willy Brandt". In jeder anderen Stadt hätte der politisch Verantwortliche wohl schon nach der ersten Verschiebung der Eröffnung zurücktreten müssen. Es hätte dazu keine Alternative gegeben.

In Berlin gibt es sie. Sie lautet: Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen.

Sollte Klaus Wowereit den Flughafen-Skandal politisch überleben, dann wird das auch daran liegen, dass er mit dieser Haltung das Lebensgefühl eines nicht geringen Teils der Berliner verkörpert. Da liegt Hundekot? Steigen wir drüber. Keine Kohle? Der Kumpel wird schon noch ein paar Euro haben, die fürs Bier reichen. Da liegt einer auf der Straße? Bloß nicht aufhelfen, sonst kotzt er einen noch voll.

Abstumpfen als Strategie

Grobe Verallgemeinerungen ("Die Schwaben") sind ja zur Zeit schwer in Mode, darum behaupten wir jetzt einfach mal: Ein großer Teil der Hauptstädter hat den Glauben daran, dass in dieser Stadt irgendetwas funktionieren könnte, längst verloren. Sauberkeit, Ordnung, Verlässlichkeit, Disziplin: Das mögen in allen anderen Gegenden des Landes angestrebte oder sogar verwirklichte Tugenden sein. In Berlin erwarten so etwas nur noch unverbesserliche Romantiker.

Diese Haltung hat nichts mit Selbstaufgabe zu tun, ganz im Gegenteil: Es handelt sich bei dieser Abgestumpftheit um eine Überlebensstrategie, ohne die sich der Alltag in der Großstadt nicht bewältigen ließe.

Wie sonst soll man es hier auch aushalten.

Busse, die niemals pünktlich kommen. S-Bahnen, die überhaupt nicht kommen. Bauarbeiter, die pünktlich zum Beginn des Winters den ganzen Straßenzug aufreißen und die wenigen verbliebenen Parkplätze mit ihren Gerätschaften zustellen, nur um sich sofort danach monatelang unsichtbar zu machen.

Überhaupt, der Winter in Berlin: Ein halbes Jahr lang kein Sonnenstrahl, nur graue Wolken und Nieselregen, wofür man aber schon dankbar sein kann, denn wenn doch mal Schnee fällt, dann hält die Glitzerromantik nur eine Viertelstunde, danach ist alles festgetretener, dreckiger Matsch, später halsbrechendes Eis auf den Gehsteigen, vor dem die Stadtreinigung bald kapituliert, bis zur Schmelze irgendwann im Mai, bei der sich dann zeigt, was dabei herauskommt, wenn die Hinterlassenschaften der Silvesternacht allzu viel Zeit mit den Hinterlassenschaften von Hunden verbracht haben.

Geh doch zurück nach Süddeutschland!

Im Sommer dann ganze Straßenzüge wochenlang zugeparkt von TV-Produktionsfirmen, die mal wieder irgendeine Vorabendserie abdrehen, die so schlecht ist, dass sie nach einer Staffel wieder abgesetzt wird. Auf der Parkplatzsuche hat man den obligatorischen Dauerstau allerdings schon hinter sich und ist dann dermaßen geladen, dass man den Vollidioten, der einem gerade den letzten Parkplatz weggeschnappt hat, am liebsten an Ort und Stelle verprügeln würde, was man sich aber regelmäßig besser überlegt, weil dieser Typ so aussieht, als sei er gerade von seinem Job als höchst überzeugender Geldeintreiber in Diensten einer kriminellen Vereinigung heimgekehrt.

Es herrscht allgemeine Kampfbereitschaft.

Störende Fahrräder? Werden umgetreten. Störende Fußgänger auf den Gehwegen wiederum von den Fahrradfahrern weggeklingelt. Das Ansprechen einer Fachverkäuferin, die gerade ins Gespräch mit einer Kollegin vertieft ist, wird als feindlicher Akt gewertet. Ebenso der Erwerb eines Tickets beim Busfahrer. Serviceorientiert sind allein die Drogendealer, die sich mächtig ins Zeug legen, einem beim Spaziergang im Park ihre Waren aufzudrängen.

Berlin ist kaputt, ist dreckig, ist hoffnungslos - und stolz darauf. Völlig zu Recht wird jeder, der es wagt, sich über die oben geschilderten Fakten zu beschweren, sofort abgestraft: Geh doch zurück nach Süddeutschland! Hier braucht dich niemand!

Und es stimmt ja auch: Es gibt viele gute Gründe, in Berlin zu leben. Schönheit und Freundlichkeit, Sauberkeit und wohlgeplante Organisation gehören gewiss nicht dazu. Ganz im Gegenteil: Es ist gerade diese Dysfunktionalität, die sich auch im fortgesetzten Scheitern des Flughafenneubaus ausdrückt, die diese Stadt zu dem macht, was sie ist - zum aufregendsten Ort des Landes. Was kümmert uns die triste Realität? Hier muss man sich Durchbeißen gegen alle Widerstände. Hier muss man improvisieren können. Hier muss man Härte zeigen gegen sich selbst und die anderen. Hier, ganz unten im bundesdeutschen Dreck, muss man sich suhlen, damit Großes entstehen kann. Aber mit Stil! Nur, ähem, leider offenbar kein Großflughafen.

Aber macht ja nichts. Eingefleischte Hauptstädter (die direkten Anwohner mal ausgenommen) wollen sowieso, dass der Flughafen Tegel für immer und ewig offen bleibt, das muffige, heimelige Tor der Berliner zu all den schönen, properen, fernen Orten, an die wir regelmäßig fliehen aus diesem Drecksloch.

Und durch das wir regelmäßig zurückkehren - in die großartigste Stadt der Welt.

Quelle: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/flughafen-in-berlin-kann-nichts-funktionieren-auch-kein-neubau-a-876585.html

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